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Von Dr. Barbara Riederer, erschienen im Ausstellungskatalog anlässlich der Retrospektive zu Grunds 65. Geburtstag 1984.

Der Maler Werner Grund

Es gibt wohl wenige Künstler, die wie Werner Grund eng mit der Landschaft verbunden sind, in der sie geboren wurden, aufwuchsen und leben. Das Hohenloher Land ist in Grunds Werk nicht nur als Motiv gegenwärtig. Es wirkt als Quelle der Inspiration auch in seinen abstrakten Arbeiten, in denen sich das Große und das Kleine der ihn umgebenden Natur mischt. Es ist für ihn Ansporn zur künstlerischen Gestaltung generell. Denn was er seiner Heimat schuldet, ist nichts weniger als eine Vorstellung von Schönheit. Schönheit äußert sich in der Einfachheit der Dinge, die jedoch mit ihrer zum Verzweifeln komplizierten Beschaffenheit identisch ist. 

Das Hohenloher Land als Quelle der Inspiration auch in seinen abstrakten Arbeiten, in denen sich das Große und das Kleine der ihn umgebenden Natur mischt.

Diese noch bäuerliche Region besitzt jene Klarheit, die sich dem Auge scheinbar von selbst mitteilt. Die bis an den Horizont stoßenden Acker und Wiesen bilden weite Ebenen unter einem spürbar nahen Himmel. Das Licht ist der eigentliche Gestalter der Gegend. Es verändert ihre Erscheinung, macht das Land flirrend und leicht oder dumpf und schwer. Herbheit und Milde liegen hier dicht beieinander. Aus diesem Kontrast erwächst die Poesie, die Grunds Bilder bestimmt. 

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Hohenloher Winter · Acryl · 45 × 50 cm · 1982

Das Licht ist der eigentliche Gestalter.

Winter an der Brettach · Öl auf Karton · 41 × 56 cm · 1950

Grund kam, vom Vorbild des Vaters geleitet, der bei Christian Landenberger in Stuttgart studiert hatte, früh zur Malerei, übte sie aber lange als Autodidakt aus. Von den Zeitumständen abgehalten, entschloss er sich erst 1956, im Alter von 37 Jahren, zum Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Vor dieser Zeit hatte er konventionelle Figurenbilder, Porträts und Landschaften gemalt, die die Bemühung um den Gegenstand spüren lassen. Doch bereits Ende der 40er Jahre hatte er die Farbe bewusster verwendet, sie aber noch in der herkömmlichen expressiven Auffassung zur Auflösung der Form und zur Steigerung des Ausdrucks eingesetzt. Das Bild „Winter an der Brettach“ von 1950 steht in dieser Tradition der schwäbischen Freilichtmalerei, wie sie von Landenberger gepflegt wurde. 

In Stuttgart waren Manfred Henninger und Rudolf Yelin seine Lehrer. Zweifellos lernte er bei Henninger den Umgang mit der Farbe, lernte ihren Eigenwert zu erfassen, ihr Volumen und ihr Licht wahrzunehmen. Zunächst war jedoch der Unterricht bei Yelin, der angewandte Malerei lehrte, maßgebend. Denn Grund führte, vor allem in den späten 50er und frühen 60er Jahren, zahlreiche Aufträge zur künstlerischen Gestaltung von Gebäuden aus. Er schuf zum Beispiel 1957 ein großes Glasmosaik für das Kreiskrankenhaus in Crailsheim, das in den 1980er Jahren einem Umbau zum Opfer fiel. Er fertigte auch Natursteinmosaiken wie 1958 für das Rathaus in Wendlingen und Glasfenster wie 1963 im Foyer der Deutschordenskaserne in Bad Mergentheim. 

Anfang der 1960er Jahre entwickelten sich die Richtlinien seiner Malerei. Grund löste sich vom Gegenstand, kehrte aber immer wieder zu ihm zurück. Abstraktion und Abbildung begannen sich zu ergänzen, ja gingen aufeinander zu und verschmolzen im einzelnen Werk. 

Gleichsam programmatisch steht eine Kom-position am Beginn, die „Flechten“ (rechts) betitelt ist. In dem 1961 entstandenen, breiten Querformat liegt eine blautonige, schrundige Fläche, die mit Weiß durch-setzt, stellenweise von ihm „überwachsen" ist. Die Flechten sind allein in der Farbe gegenwärtig, das heißt, die Struktur der Farbe entspricht der Farbstruktur der Flechten. Der Maler ahmt nicht nach, sondern verweist auf die Parallelität. Bild und Vorbild bleiben für sich. 

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Flechten · Acryl-Öl auf Holzfaser · 111 × 52,5 cm · 1961

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In den Aquarellen wird deutlich, dass Grund die Farbe eigenwertig verwendet. Wie zufällig ordnen sich die Pinselstriche, die gemalten Flächen, die erzeugten Schlieren und Flecke zu einer Landschaft. In „Jugoslawische Küste" (links) ist der Horizont so hoch angesetzt, dass der Himmel nur noch als breite Pinselspur über ein steil aufgerichtetes Meer gezogen ist. Die Küste liegt wie ein Balken am unteren Rand. Diese extreme Flächenbetonung – die Darstellung reißt zudem vor den Papierkanten ab – steht in Kontrast zu der unruhigen Plastizität des Blaus, welches das Meer bezeichnet. Dass dennoch der Blick über die der Küste vorgelagerten Inseln zustande kommt, rührt von der Stimmigkeit der Reduktion. 

Jugoslawische Küste · Aquarell · 47 × 63 cm · 1972

Eine andere Art der Abstraktion zeigt das Bild „Dorf im Brettachtal" von 1963. Weißgraue Schneeflächen drängen den Ort mit dem grün-blauen Fluss von den Ecken her in die Bildmitte. Die Häuser sind zeichenhaft auf einen dunklen Fond gesetzt. Ihre Formen verbinden sich mit den Einsprengseln von kleinen hellen Farbfeldern, die aus dem Dunkel leuchten wie die Glassteine von Grunds Mosaiken, zu einem Teppich. 

Hier bringt die Überschau, nicht die extreme Nahsicht wie bei den „Flechten", den Gegenstand auf seinen Begriff. Das Dorf fügt sich in eine selbständige Bildordnung und ist doch als Motiv bewahrt. Jetzt überschneiden sich Bild und Vorbild. 

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Dorf im Brettachtal · Aquarell · 36 × 63 cm · 1963

Im Blau und Weiß, im Ocker und Grün vermischen sich die Farben des Himmels und der Erde.

Viele Darstellungen sind gänzlich vom Gegenstand abgelöst wie die „Komposition mit Gelb" (unten) von 1967. Eine Art tachistischer Malerei breitet sich über das gesamte Format aus. Schwerpunkte ergeben sich allein aus der Massierung einzelner Töne und dem Zusammenklang der Farben. Nichts kalkuliert Ästhetisches und ausgedacht Geschmackvolles spricht aus dem Bild. Die Pinselschrift ist spontan und zeugt von der Emotion, die sie hervorgebracht hat. Im Blau und Weiß, im Ocker und Grün vermischen sich die Farben des Himmels und der Erde. Ihr Wechselspiel ist von einer Heiterkeit durchdrungen, die aus der Lust am reinen Sehen kommt. 

 

Dass die Farbe bei Grund ausdrücklich Stimmungsträger ist, wird im Vergleich deutlich. Neben tonklaren, hellen Bildern finden sich in seinem Werk verhangene, dunkle. Schwer wirkende Farbverdichtungen, spröde, aber auch schillernde Oberflächen, die eingerissen und von Geäder durchzogen sind, bilden sich. Höhen und Tiefen sind ausschließlich durch die Farbe markiert. Manche Darstellungen zeigen Flammenformen und vibrierende Kreise, die wie ferne kosmische Nebel oder Nahaufnahmen ohne Tiefenschärfe erscheinen. Die Transparenz seiner ungegenständlichen Aquarelle unterstreicht Grund durch luftige Formbildungen. Dagegen verhärtet er die Strukturen in manchen Öl- und Acrylbildern, so dass sie wie verkarstet wirken.

Komposition mit Gelb · Acryl · 48 × 69 cm · 1967

Der durch die Farbe gewonnene Raum ist in vielen Werken Grunds dynamisch.

Der durch die Farbe gewonnene Raum ist in vielen Werken Grunds dynamisch. Das Blau, das der Maler bevorzugt verwendet, zieht den Blick tief in das Bild hinein. Rottöne, punktuell aufgebracht, halten ihn auf. So entsteht eine Bewegung von der Bildebene in eine imaginäre Tiefe, gleichsam ein Springen der Farben, ein Aufleuchten und Erlöschen. Die amorphen Strukturen verstärken diesen Effekt durch ihre eigene Dynamik. Sie scheinen sich zusammenzuziehen oder über die Ränder hinweg auszudehnen.

Auch die wechselweise entstehenden gegenständlichen Arbeiten sind von Räumlichkeit und Bewegung erfüllt. In ihnen formuliert Grund sein Erleben der Landschaft. Meist geht er in seiner Darstellung von der Linie des Horizontes aus. An ihr, ob sie hoch oder tief im Bild liegt, entwickelt eine Vorstellung von Raum; an ihr befestigt er sein Gefühl für Weite und Ferne, das zuweilen von Wehmut begleitet ist. 

Auf zahlreichen Malreisen, die ihn nach Italien, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland und Österreich führten, fand er die Bestätigung seines  Raumgefühls. Meist schilderte er seine Eindrücke in Aquarellen. 1972 schuf er zum Beispiel eine Reihe von Blättern, die die Küstenlandschaft  Jugoslawiens zeigen. 1973 entstand eine Serie mit Ansichten vom Neusiedler See.

Wattenmeer bei Kampen · Aquarell · 30 × 40 cm · 1983

Die Darstellung durchwirkt ein Rhythmus, der der Perspektive folgt, sie gewissermaßen skandiert.

Eine gesteigerte räumliche Situation dagegen ist dem „Wattenmeer" abgesehen, ein Motiv, zu dem Grund 1983 auf einer Nordseereise angeregt wurde. Die in einen fahlen, wässrigen Himmel übergehende Ebene erhält ihre unwägbare Tiefe durch das aus dem Wasser heraustretende, wie ein Flusslauf mäandernde Land. Die Darstellung durchwirkt ein Rhythmus, der der Perspektive folgt, sie gewissermaßen skandiert.  

Die meisten Landschaften Grunds besitzen solch eine rhythmische Gliederung.

Die meisten Landschaften Grunds besitzen solch eine rhythmische Gliederung. Vor allem in seinen Winterbildern, die das Hohenloher Land zeigen, ist sie ausgeprägt. Sie stellt sich oft als Bewegung in die Tiefe dar – eine illusionistische, keine optische Tiefe der Farben wie in den abstrakten Arbeiten – und ist in die Furchen der Acker gefasst. Die umgebrochenen Schollen reihen sich zu hell-dunklen Linienbündeln: Schnee und Erde beim ersten Anhauch des Winters oder bei der Schmelze, wenn die Krume erneut hervortritt. Die Linien, malerisch weich zerlegt, eilen dem Horizont zu oder lagern sich breit unter schwere Wolken. Die Sturzäcker sind oft wie Fächer aufgefältelt und manchmal steil, manchmal flach auf die Malfläche gelegt. Der Rhythmus bezieht sich auf den Fluchtpunkt. Aus dem graphischen Hell-Dunkel entsteht ein Flimmern und Vibrieren. Dadurch verstärkt sich der Sog in die Tiefe, dem der stets den Ausgangspunkt suchende Blick ausgesetzt ist. 

Doch auch eine ruhigere Bewegung hält Grund fest. In der 1978 entstandenen „Winterlichen Landschaft" (rechts) bildet eine sanft ansteigende Kuppe, die mit einzelnen Bäumen bestanden ist, die Grenze zum Himmel. Aus einer Senke heraus ziehen sich Streifen von Schnee und Erde in großen Schwüngen zur Gratlinie. Ein düsteres Wolkenfeld öffnet sich im Gegenschwung und lässt ein lichtes Blau hervorschimmern. 

Die Korrespondenz zwischen Himmel und Erde erschöpft sich in dieser und in anderen Arbeiten nicht in solchen kompositorischen Aspekten. Das Licht, das sich durch die Farbe manifestiert, stellt eine Verbindung her. Der Himmel bezeichnet den Charakter der Landschaft. Seine Trübheit wie seine Helle bilden sich ab. Seine Schwere macht das Land schwer, seine Intensität hebt es hervor und lässt es leuchten. 

Winterliche Landschaft · Öl · 37 × 52 cm · 1978

Der Ausschnitt als Unendlichkeitslandschaft

Die sich über die Bildebene ausbreitende „Sommerwiese", 1977 geschaffen, scheint auf den ersten Blick eng verwandt mit den Farbimprovisationen, die spielerisch aufgebaut sind und ihren ästhetischen Reiz ebenso zufälligen wie bewusst hervorgebrachten Formationen verdanken.

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Sommerwiese · Acryl · 37 × 49 cm · 1977

So dient das Motiv der absoluten Malerei und die absolute Malerei dem Motiv. 

Grund fasst die Wiese als Fläche in der Fläche auf. Er nimmt den Horizont aus dem Bild, so dass keine Raumlinie die Blumenwiese als Teil einer weiten Landschaft ausweist wie etwa in dem Bild ,„Toskanische Landschaft" von 1980, in dem einige Zypressen hart am oberen Rand Ferne evozieren. Der Verzicht auf den Horizont rückt die „Sommerwiese" nah vor das Auge. Der Ausschnitt wird aber auch zu einer Unendlichkeitslandschaft, da der Blick in keine bestimmte Richtung gelenkt ist und innerhalb der Formatgrenzen schweifen kann.

Die Dolden des Wiesenkerbels und der Wilden Möhre, die Blütenköpfchen des Hahnenfußes und die Stängel des Salbeis vereinen sich zu einem Gespinst von Weiß, Gelb und Blau. Ihre Schönheit geht in der Schönheit der Farben auf, ohne sich in der Farbe zu verlieren. So dient das Motiv der absoluten Malerei und die absolute Malerei dem Motiv. 

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Toskanische Landschaft · Öl auf Leinwand · 42 × 60 cm · 1981

In den Wiesenbildern zeigt sich die Heiterkeit durchsonnter Tage nicht nur in den leuchtenden Farben, die Licht in sich zu sammeln scheinen, sondern auch in ihrer rhythmischen Strukturierung.

Die Weite einer „Mohnwiese" (unten), wie sie Grund etwa 1983 malte, erschließt sich in Wellenbewegungen von Grün und Rot, die über die gesamte Formatbreite bis zum Horizont am oberen Bildrand verlaufen. Im Gegensatz zu den winterlichen Ackerlandschaften, in denen die Furchen gewissermaßen einem strengen Taktfolgen, und es kein Halten gibt, ist ein unregelmäßiges Tempo angeschlagen, sind freie Rhythmen gewählt. 

Der Himmel über den Blumenwiesen ist von anderer Art als in den Winterbildern. Meist liegt er als schmaler Streifen in der Darstellung und besitzt keinen eigenen Ausdruck. Er nimmt die Farben der Wiesen auf, ja lässt sich vereinnahmen. Trotz der trennenden Horizontlinie gehen in manchen Bildern Himmel und Erde ineinander über, so dass ein einheitlicher Farbraum entsteht. Raumdeutung und Flächengestaltung nähern sich. Die Landschaft wird zu einem „absoluten“ Stück Wirklichkeit, in dem die Farbschönheit der Blüten herrscht.

Mohnwiese · Acryl · 37 × 54 cm · 1983

In seinen Blumenstilleben löst Grund den Gegenstand in ähnlicher Weise in Malerei auf, ohne ihn zu verleugnen. Seine Blumensträuße sind sowohl Farbkom-positionen als auch Darstellungen verschie-denartiger Pflanzen. Nichts anderes ist der Strauß im Atelier des Künstlers, der als Vorbild dient. Er nimmt die Intentionen vorweg. Die Zusammenstellung in der Vase

steigert die Schönheit der einzelnen Blume, da die Nachbarschaft einer anderen ihre Besonderheit unterstreicht. Gleichwohl ist das Arrangement ein Ganzes, das im Kontrast der Farben Gestalt gewinnt. 

In den Blüten zeigt sich die Farbe am reinsten, denn sie ist nicht an einen groben Stoff gebunden, der sich zur Wirkung bringt. Auch entwickelt sie von selbst ein Verhältnis

zur Form. Daher ist sie noch in den zartesten Tönen intensiv und in allen Schattierungen harmonisch. 

Solche Selbständigkeit gibt Grund, der wie Cézanne sagen könnte, dass für den Maler nur die Farben wahr seien, ein Beispiel. In den Blumensträußen findet er das adäquate Motiv zur Darstellung der Valeurs. 

In seinen Blumenstilleben löst Grund den Gegenstand in Malerei auf, ohne ihn zu verleugnen. 

Der „Wiesenblumenstrauß", ein Aquarell von 1978, leuchtet in einem Akkord von Blau und Gelb, der mit Grün unterlegt und von Weiß akzentuiert ist. Die Farbtupfer verfestigen sich an einigen Stellen zu bestimmbaren Blüten, die die Farbe dann kräftiger tragen. Das Johanniskraut lässt das Gelb in seinen sternförmigen Blüten aufleuchten. Im Wiesenstorchschnabel wird das Blau fast durchsichtig und als Waldglockenblume hängt es, purpur überlaufen, wie an Schnüren. Die Schafgarbe präsentiert ihr Weiß in einem Spitzentuff.  

Wiesenblumenstrauß · Aquarell Mischtechnik · 47 × 62 cm · 1978

Schönheit ist fragil und trägt den Zerfall in sich. Nur derjenige weiß von ihr, dem das Vergängliche nah ist, der einen Anflug von Trauer verspürt, wenn sie ihm begegnet. In Grunds Bildern ist dies Wissen enthalten.

Blumen wurden zu verschiedenen Zeiten aus verschiedenen Anlässen wiedergegeben. Sie dienten der religiösen Symbolik wie dem Repräsentationsbedürfnis. Sie wurden aus botanischem Interesse abgebildet oder standen für den Vanitas-Gedanken. Grund malt sie um ihrer Schönheit willen. Doch er meint nicht die Schönheit dekorativer Bouquets, sondern die naturgegebene Schönheit, die er in ihrem Wesen zu erfassen trachtet. 

Schönheit ist nicht Abwesenheit von Hässlichem und besteht nicht in der makellosen Oberfläche der Dinge. Schönheit ist fragil und trägt den Zerfall in sich. Nur derjenige weiß von ihr, dem das Vergängliche nah ist, der einen Anflug von Trauer verspürt, wenn sie ihm begegnet.  In Grunds Bildern ist dies Wissen enthalten. Es ist eng mit seinen Motiven verknüpft. Alles, was er darstellt., hat nur kurze Dauer. Die flüchtigen Stimmungen und den Wechsel der Jahreszeiten kann er nur im Bild festhalten. Das Licht über den Ackerlandschaften ist eine Augenblickserscheinung, und die Blumensträuße verwelken im Atelier. Selbst die auf Reisen gewonnenen Eindrücke verblassten in der Erinnerung, legte Grund sie nicht in Bildern nieder. 

Grund begreift die Dinge aus ihrem Gegenteil. Er setzt sie in Kontrast zueinander, um sie als Ganzes fassen zu können. Er teilt sie, um sich ihrer Einheit zu versichern. In jedem Winterbild steckt Sehnsucht nach dem Sommer, in jedem Wiesenbild Trauer wegen der Zeitweiligkeit der Blüte. Heiterkeit und Schwermut lösen einander ab. Auf eine abstrakte Darstellung folgt eine gegenständliche. Die Fläche enthält die Möglichkeit von Raum. Der Tiefenraum ist zur Fläche entzerrt. Der autonome Einsatz der Mittel trifft auf den Willen zur Abbildung. Farbe und Gegenstand sind zusammengezwungen, damit sie, für sich und doch gemeinsam, ihre Schönheit preisgeben. Selbst wenn der Gegenstand ausgeschlossen ist, wirkt die Farbe abbildend, denn sie verleugnet nicht, dass sie von ihm abhängt. 

Die Schönheit, die Grund zeigt, besitzt Realität. Sie hat nichts mit Weltferne und leerem Ästhetizismus zutun, doch viel mit dem Sehen. Sie drängt sich den Augen nicht auf und eröffnet sich erst durch Beobachtung und Unterscheidung der Dinge. Sie entspringt einer poetischen Haltung: Grund nimmt eine Ordnung wahr, in der sich das Unscheinbare und das Wesentliche durchdringen.  

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